Nachfahren des Ikarus |
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Der kompetente Pinselduktus, die meisterhafte Beherrschung von Form und Farbe, Bildarchitektur und Perspektive sollten uns nicht täuschen. Hier malt keine Traditionalistin, sondern hier zitiert eine Künstlerin Traditionen und stellt sie in den Dienst einer eminent zeitgenössischen Malerei. Der mimetische Charakter der Bilder von Sibylle Prange zielt nicht auf eine Spiegelung der Wirklichkeit, sondern führt unsere Gedanken und Gefühle in einen bestimmten Raum und in eine Zeit, von wo aus wir weiter denken und fühlen können. Es geht, um Cézanne zu zitieren, in diesen Bildern stets um eine Darstellung „parallel zur Natur“. Um die Schaffung einer eigenen Welt und Wirklichkeit im Bild. Nicht das Sichtbare wiederzugeben, ist das Ziel von Pranges Malerei, sondern „sichtbar zu machen“, um noch einem Großen der Kunst das Wort zu geben. Trotz ihrer realistischen und expressiven Eindringlichkeit bleibt das Gemachte, das Hergestellte der Bilder Pranges, nach dem Willen der Künstlerin stets vor Augen und im Sinn des Betrachters. Dieser Artefaktcharakter ihrer Kunst, der bei allen gegenständlichen Verweisen eben nicht auf Illusionismus zielt, ist das absolut Zeitgenössische dieser Bilder, was ihre Form angeht. Und das ist die Kunst in ihrem Inneren ja - Form. Oder in den apodiktischen Worten von Gottfried Benn: „Die Kunst ist Form, oder sie ist nicht.“ Schauen wir auf Sibylle Pranges „Verlassener Strand“. Das untere Bilddrittel nimmt ein ockerfarbener Sandstrand ein, ein darüber liegender, schmaler blauer Wasserstreifen bringt das in der Ferne liegende Meer in Anschlag, über das sich ein grau verhangener Himmel spannt. Wie noch so oft auf diesen Bildern vom baltischen Meer, das Prange 2006 während eines Künstleraufenthaltes in Ahrenshoop intensiv kennen gelernt hat und das seitdem immer wieder in ihren Werken auftaucht. Alle drei, horizontal sich erstreckende Farbfelder sind nicht nur durch differenzierte Farbigkeit, sondern auch durch unterschiedliche Strukturen voneinander geschieden. Fast staccatohaft im unteren Teil, schwingt Pranges Pinsel im oberen Bereich sehr viel weiter aus, während sich sein Strich im mittleren Teil zum Kontinuum verdichtet. Natur und Kunst sind stets zusammen da. Genauso geht es uns mit den Bildfiguren. Kontrollturm und Strandhütte sind malerische Abbreviaturen. Der skizzenhafte schwarze Strich, aus dem sie erstanden sind, verwandelt sie zu fremden Wesen, die in ihrer unterschiedlichen konstruktiven Faktur in einem seltsamen Dialog miteinander zu stehen scheinen. Oder das Gemälde „Tiefer Abend“ aus demselben Jahr. Ein gemeinsamer Farbton eint Strand, Meer und Himmel. Aber das Grau reißt auf, wo das Licht des Mondes aus den Wolken bricht und die See überschwemmt. Licht und Dunkel teilen das Bild in zwei Hälften. Auch hier sind zugleich da: die Naturreminiszenz, der Artefaktcharakter des Bildes und seine Verwandlung in eine duale Symbolik. Man könnte diese Gleichzeitigkeit von Illusionismus und Desillusionierung in jedem Bild von Prange deutlich machen. Sie erinnert an Bertold Brecht, wenn er in seinem epischen Theater das Publikum brachial zurechtweist, nicht so „romantisch zu glotzen.“ Der Mond über der Bühne sei nur ein Papiermond, also einmal mehr ein Artefakt, und im übrigen seien die Zuschauer nicht in seinem Theater, um unterhalten zu werden, sondern damit sie ihren Kopf anstrengen, um sich am Ende - hoffentlich - besser zu kennen. Die Ambivalenz der Bilder von Sibylle Prange steht stets im Dienst dieses Erkenntnisprozesses. Auch hier wird jede wohlige Einfühlung permanent gestört durch die Erkenntnis, es bei ihren Bildern mit Artefakten und so mit Konstruktionen zu tun zu haben, mit denen es sich auseinander zu setzen gilt. Dabei blicken wir nicht mehr nur auf die Form der Werke, sondern auch auf den Inhalt und haben uns also mit Pranges Landschaftsidee auseinanderzusetzen. Wenn wir ihre Gemälde von der deutschen Ostsee nicht als Stereotyp eines meteorologischen Befundes lesen wollen - Da oben regnet es immer! - dann tun wir schon fast zwangsläufig den Schritt hin zu einer parabelhaften Auslegung ihrer Werke. Das Grau, in das sie ihre Bilder taucht, ist das calvinistische Grau des Denkens, das traurig macht, weil es uns lehrt, dass wir sterben müssen. Aber der Mehltau der Melancholie, in den Sibylle Prange die Welt taucht, greift auf wundersame Weise nicht auf ihre Protagonisten über, die sich in dieser Wirklichkeit zu behaupten haben. Ihre „Badende“ aus dem Jahre 2006, allem Anschein nach ein dreifaches Selbstporträt, nutzt das Wasser als beflügelndes Medium für eine vitale und sinnenfrohe Fortbewegung. Die „Bleierne See“, die Prange in einem anderen Werk beschwört, verliert in diesem Gemälde ihren bedrohlichen und verschlingenden Charakter. Kein schwarzgraues Meer sehen wir hier, sondern das Wasser schmückt sich mit beinahe frivol rokokohaften Farben. Wo Menschen in der neuen Werkserie der Künstlerin auftreten, tun sie es als Schwimmer mit der Kraft einer Staunen machenden Verwandlung ihrer Welt. Die Fähigkeit dazu müssen sie erworben haben, nachdem sie sich zuvor selbst fundamental verändert haben. In früheren Werken klebten sie am Boden, hat Prange sie in dunklen Erdfarben gemalt, als seien sie mit ihm verwachsen. Aber allmählich haben sie ihre statuarische Existenz aufgegeben und die Last der Verhältnisse abgeschüttelt. Sie haben zu laufen gelernt, zu springen, gar zu fliegen und sich als würdige Nachkommen des Ikarus erwiesen. Auch im Wasser haben sie eine fluide, schwebende Existenz. Als lebten sie in einem Traum. Von Oscar Wilde wissen wir: Nur der ist Realist, der zu träumen versteht. Michael Stoeber, Hannover, Katalogtext 2008 |