Ambivalenzen

Zwei Künstlerinnen aus Berlin haben uns eingeladen, ihre, ganz deutlich im Kontext arrangierten Werke zu betrachten, zu lesen, zu verstehen: die ästhetischen Konzepte, deren emotionales und geistiges Potenzial. Katharina Gerold, die Bildhauerin, Sibylle Prange die Malerin, zwei Künstlerinnen in der guten Mitte des Lebens, mit ihren Erfahrungen, ihrer Liebe, ihrer Strenge, ihren Träumen und Desillusionen. Und mit ihrer frappierenden Konsequenz der bildnerischen Mittel, damit einer ganz besonderen, selten gewordenen künstlerischen Qualität.

Wir stehen vor Skulpturen, die ich Gestaltzeichen nennen will, und vor Landschaften, die für mich Gleichnisse sind für den fragilen Zustand der Welt. Sie merken schon, es geht, in beider Werk nicht ums Erzählerische, kaum um lukullischen Augenschmaus, sondern um eine herausfordernde, auch etwas verstörende Ambivalenz.

Fragen, viele Fragen, stellen auch Sibylle Pranges „Landschaften“. Wohlige Einfühlung verweigern diese Bilder. Und dennoch sind sie schön, die gemalten, die gezeichneten: expressiv und realistisch eindringlich, zugleich aber auch abstrahierten Gleichnisse für Zustände und Situationen.

Für das, was passiert ist unter diesem großen Himmel, an den in ganz leichter Untersicht dargestellten menschenleeren Strand-, Ufer-, Straßen-Brücken-Insel-Situationen. Das Große Blau, das phosphoreszierende, schweflige Gelbgrün, das Licht, das in diesen Bildern immer mitmalt.

Es sind eigentlich stille, melancholische Erinnerungsbilder, ganz im Proust’schen Sinne „auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, mitgebracht von Reisen in alle Richtungen der Windrose, auch gen Osten, und gen Süden, Nordafrika, Asien, Hochkultur und Billig-Tourismus.

Und sie brachte Bilder mit aus Ländern, wo gesellschaftliche Umbrüche zu strukturellen, sozialen, ökologischen Verwerfungen, zu Korrosionen führten, für die gerade auch die Landschaft zum Gleichnis wird. Bäume, Büsche, bei denen nicht entscheidend ist, ob sie gerade erblühen oder aber vertrocknen. Ambivalenz eben.

Man möchte fast meinen, es seien Bilder vom Ende der Welt, wo die Dinge, die Farben nur noch Chiffren sind für etwas Gewesenes. „Atlantis“ nennt sie eine der Tafeln. Sibylle Prange spricht von „Randlandschaften“: der ausgediente Containerpark nahe dem Hafen von Odessa, wo die Behälter gleichsam zu rätselhaften Endzeit-Skulpturen werden. Der verwahrloste Schwarzmeerstrand und Hafen des rumänischen Constanza, der verlassene Strand von Eforie mit einem wackligen Bademeister-Wachtürmchen, das auch zugleich ein Hochstand für Jäger sein könnte. Oder eine Brache mit Tümpel in Brandenburg, wo es keine Zukunft mehr gab für Landwirtschaft oder eine andere florierende Industrie.

Zivilisationsreste, Straßen, die nach nirgendwo zu führen scheinen, Kontrast mit Gebautem und daraus Gewordenem, der Zwischenzustand. Sibylle Prange malt nicht Natur, gleich, in welchem Zustand, sondern, mit entschlossenem, virtuosen Pinselduktus, „parallel zur Natur“. Es sind Artefakte.

INGEBORG RUTHE, Galerie LUX, Berlin, November 2012