Man kann sich der Faszination dieser Bilder kaum entziehen, gefangen im Spannungsfeld von tiefer Melancholie und großer Lebensfreude, die in allem doch sichtbar, spürbar wohnt. Es lässt sich denken, dass diese aufregende malerische Position, handwerklich souverän vorgetragen und von einem klaren Gestus, keiner Pose, grundiert, auch ein sehr persönliches Statement ist.
Mut für das Eigene
Wenn den Bildern Sibylle Pranges, karge Landschaften zumeist und irritierte Menschen darin zeigend, ein übergreifendes Thema zugeordnet werden soll, das als Struktur hinter den Sujets liegt, dann muss wohl Mut genannt werden. Der Mut, selbstbewusst das Eigene, auch die Ängste, und die Invasion der Welt anzunehmen und abzubilden. "Transit" heißt die Ausstellung, die bis zum 31. Oktober in der Willi-Sitte-Galerie in Merseburg zu sehen ist. Das Haus, erklärtermaßen der realistischen Kunst verpflichtet, öffnet sich mit dieser Schau von Gemälden und Zeichnungen allerdings einer Lesart, die sich den kunstpolitischen Grabenkämpfen, sollten sie denn überhaupt noch stattfinden, aus dem nobelsten Grunde verweigert, den man für die künstlerische Produktion anführen kann: Sibylle Prange hat etwas Existenzielles mitzuteilen. Und sie vermag es nicht anders, nicht besser auszudrücken, als eben durch ihre lichten Bilder voller Trauer und Zuversicht.
Der Titel "Transit", so hat es Professor Johannes Langenhagen aus Halle zur Ausstellungseröffnung gesagt, verweise auf das Unterwegssein, die Offenheit für Künftiges. In der Tat sind es Zwischenzustände, von denen die aus Eberswalde gebürtige, in Jena aufgewachsene und in Berlin lebende Malerin vom Jahrgang 1969 Nachricht gibt, Wahrnehmungen, die aus der Genauigkeit der Beobachtung heraus nicht nur ästhetisches Gewicht haben, sondern auch politisieren im besten, also streitbaren Sinne.
Am Ende des Versprechens
"Atlantis" etwa, ein in diesem Jahr entstandenes, großformatiges Ölgemälde, zeigt die sitzende Figur einer nackten, jungen Frau. Sie wendet dem Betrachter den Rücken zu und sieht auf eine verödete, trostlose Seelandschaft. Am linken Bildrand qualmt ein Feuer, rechts ragen kahle, aber mächtige Baumstümpfe vom Ufer in einen pastellfarbenen Himmel, der am Horizont eins wird mit Wasser und Land. Man kann sich das Ende der Märchen, das Ende des Glücksversprechens, aber auch das Ende des Hochmuts vorstellen, die hier verhandelt werden - in einer Ruhe, die angesichts der dramatischen Situation geradezu elektrisierend wirkt.
Fast immer sind es Situationen zwischen Endzeit und Überleben, die Sibylle Prange malt, es geht um Mensch und Natur, um das Menschsein und Menschbleiben im Angesicht von Gewalten, der nur noch die nackte Kreatur entgegentritt. Man geht wohl nicht zu weit, eine tiefe Sorge um das Zivilisatorische zu erkennen. Vielleicht auch eine letzte Frage an Gott.
ANDREAS MONTAG, Mitteldeutsche Zeitung, 2011
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